Positives Denken scheint zu einer Pflicht geworden zu sein. Aber Hand aufs Herz, wem gehen die stets gut gelaunten Zeitgenossen nicht auf den Wecker? Vor allem morgens! Dieser Artikel soll als Gegengift wirken. Welche Vorteile hat kritisches Denken? Welches Geschenk verbirgt sich hinter unseren negativen Emotionen? Willkommen auf der dunklen Seite der Macht!

Mut gehört nicht zu meinen Stärken. Mut zur Ehrlichkeit. Ich neige dazu, gerade Menschen, die ich nur oberflächlich kenne, nach dem Mund zu reden. Ich möchte gemocht werden. Meistens passiert das Gegenteil. Mal ehrlich, wie befreiend ist es, einem Menschen zu begegnen, der sich nicht verstellt, der nicht versucht, einem angesagten Bild zu entsprechen, eine anerkannte Rolle zu spielen? Es tut gut, einem Menschen zu begegnen, bei dem man weiß, woran man ist! Jeder wünscht sich solche Freunde! Aber wie schwer ist es, ein solcher Freund zu sein? Das braucht wahren Mut.

Wenn dein Leben nicht so aufgegangen ist, wie du es erwartest hast, deine Beziehungen brüchig sind, du einen tumben Job hast oder finanziell nicht auf die Beine kommst, dann könnte es mit deinen falschen Überzeugungen zu tun haben. Wenn dein bisheriges Denken und Handeln nicht erfolgreich war, könnte es einen Versuch wert sein, einfach mal das Gegenteil auszuprobieren. Was ist, wenn meine Annahmen über das Leben falsch sind?

Das ist kritisches Denken! Ich versuche, das Gegenteil meiner Meinung zu beweisen. Wissenschaft funktioniert so, wenn sie frei ist. Falsifikation heißt das Zauberwort. Ja, das ist anstrengend. Leichter ist es, sich seine Meinung von Gleichgesinnten bestätigen zu lassen und sich in der Blase der Gruppe wohlzufühlen. Nur Negatives Denken, die Bereitschaft die eigenen Überzeugungen zu hinterfragen, führt zu Erkenntnis und Fortschritt. 

Optimisten haben in der Regel schlechte Karten. Selten läuft alles so wie gedacht. Die Wahrscheinlichkeit, enttäuscht zu werden, ist hoch. Pessimisten jedoch haben gute Chancen, positiv enttäuscht zu werden. Selten läuft es so schlecht wie ausgemalt. Wer also ein Pessimist sein kann, ohne ein Griesgram zu werden, der hat die Wahrscheinlichkeit auf seiner Seite. Das Glück wird ihm nachlaufen.

Beispiel gefällig? Sprechen wir über Glück! Wie viele richtig glückliche Menschen, denen die Sonne aus dem Hintern strahlt, kennst du? Die echten Freunde, die wir nicht finden, weil wir die falschen beeindrucken wollen, könnten entscheidend zum Glück beitragen. Nur begegnen wir ihnen nicht. Wie sollen wir das Glück finden, wenn wir vorgauckeln, schon glücklich zu sein? In der Regel begegnen wir dann Menschen wie uns selbst, die auch nur so tun. Wie soll mich jemand trösten können, wenn ich Trauer nicht zeige? Wem soll ich ein Lächeln ins Gesicht zaubern, wenn alle um mich herum ständig grinsen?

Die größte Illusion besteht wohl darin, zu meinen, einen Zustand erreichen zu müssen, sei es eine Geldsumme, eine Partnerschaft, den Karibikstrand oder was auch immer, um fortan für immer glücklich zu sein. Im Schnitt hält dieses Glücksgefühl drei Minuten. Das Leben lebt viel mehr von Gegensätzen. Wer wissen will, wie wohlschmeckend ein Apfel sein kann, braucht nur eine Weile zu fasten. Wie herrlich ist ein Schluck klaren Wassers, wenn du richtig durstig bist? Darin liegt der wahre Schlüssel zum Glück.

Ist es wirklich so einfach? Ja! Nur müssen wir bereit sein, Hunger, Durst und Erschöpfung zulassen zu können. Die falsche Glücksformel der Konsumwelt empfiehlt das Gegenteil. Das Vermeiden aller unguten Gefühle durch ständig neue Reize. Sofortige, käufliche Befriedigung aller Bedürfnisse.  Erfüllung setzt aber Mangel voraus. Erfolg Anstrengung. Glück braucht das Bewusstsein der Endlichkeit. Der Konsumrausch soll die Urangst betäuben. Doch wer den Tod vermeiden will, verliert das Leben schon lange bevor er stirbt.

Das ist die Glücksformel: Das Glück ist einfach. Es liegt in den kleinen, alltäglichen Dingen. Unsere scheinbaren negativen Gefühle sind die besten Wegweiser. Es tut not, die Anweisung des Zenmeisters wörtlich zu nehmen. Auf den Hunger zu warten, bevor du isst. Als goldene Regel in eigentlich allen Belangen kann die Anweisung des Zen auch hier nicht überbetont werden: Mach erst einmal nichts! Alles andere kommt von selbst! Du hörst auf zu suchen und findest.

Das NEIN ist das wahre Zauberwort!

Wer mit der Selbstsabotage immer noch Probleme hat, dem sei der Klassiker von Paul Watzlawick "Die Anleitung zum Unglücklichsein" wärmstens ans Herz gelegt. Von den Selbsthilfebüchern, die das Gegenteil versprechen, sei abgeraten. Diese machen nur die Autoren reich. Die Coachingindustrie lebt davon, Menschen zu hilfebedürftigen Mangelwesen zu degradieren. 

Probiert es aus! Lernt positiv zu denken! Sprecht eure Affirmationen! Erhöht euer Schwingungslevel! Steht um vier Uhr morgens auf! Formuliert eure Ziele! Dann ab zum Frühsport! Optimiert euch selbst, wo ihr nur könnt. Jeden Tag ein Bisschen besser, höher, schneller und weiter! Wenn das dann alles nichts gebracht hat, ihr unter den neuen Zwängen erschöpft kapituliert, ihr euch wie komplette Versager fühlt und das nächste Buch des noch erfolgreicheren Erfolgstrainers kaufen müsst, dann schaltet erst einmal einen Gang zurück! Sprecht das Zauberwort. Jetzt ist die Zeit für den guten alten Blues, für Pfeife und Schnaps am Küchentisch. Was dir zum Glück fehlt, ist nicht noch mehr Disziplin, sondern Rock 'n Roll! Tanze! Mehr als alles andere ist das Leben ein Tanz! Also, tanze!

Das Positive Denken birgt eine große Gefahr. Wohin nur mit den ganzen negativen Gefühlen in mir? Flux werden sie auf unsere Mitmenschen projiziert. Es ist eine der tiefsten psychologischen Einsichten, dass wir der Dunkelheit, die wir in uns selbst nicht annehmen können, in anderen begegnen müssen. Wir werden dann zu Kämpfern für das Gute, bekommen unser Lichtschwert und dürfen auf den Kreuzzug gehen. Der Tyrannei der Guten ist dann keine Grenze gesetzt. Das Gute erlaubt alle Mittel. Die Rettung der Welt!  Um nichts Geringeres wird es gehen. Die Geschichte ist voll von Beispielen, für die, die sehen wollen. Es ging nie gut aus! Das Gute zieht früher oder später immer in den Krieg! 

Für das persönliche Glück, auch das der Mitmenschen, ist es empfehlenswert, nicht zu gut zu sein. Wenn deine Dämonen dich nachts besuchen, heißt es in Tibet, dann lade sie auf einen Tee ein. Schau dir deine negativen Gefühle an. Deine Wut, deine Trauer, deine Angst. Lass sie zu. Durchlebe sie! Sie sind nichts anderes als die Maske, die deine Liebe trägt. Sie zeigen dir, wo du deine Macht an andere abgegeben hast. An die Eltern, die Gesellschaft, Autoritäten. Deine Dämonen verfolgen dich, um dir deine Macht zurückzugeben. Das ist ihr Geschenk. Du musst dann andere nicht mehr verurteilen, bekämpfen und für dein Unglück verantwortlich machen. Du wirst nachsichtig mit ihren Schwächen sein. Du hast genug mit dir selbst zu tun. Du übernimmst die Verantwortung für dein Leben. Du bist frei! Und du wirst auch andere frei sein lassen können. Dankbar wirst du deine Dämonen am Morgen umarmen. Ihr werdet euch herzlich verabschieden. Sie werden gehen und nicht wiederkehren. Es sei denn du brauchst erneut ihre Hilfe. Klarheit und Kraft sind ihre Gabe. Indem du dich selbst heilst, kurierst du die Welt und beendest den Krieg. Heute Nacht! Du gibst deinem Leben einen Sinn.